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©Lou von Treskow

1968
geboren in Wolfenbüttel, Niedersachsen

1987
Abitur
Gymnasium Kreuzgasse, Köln

1989-90
Regieassistenz
Deutsches Schauspielhaus Hamburg

1997 
Diplom Schauspielregie
Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, Berlin

1997-98 
Hausregisseur Deutsches Theater, Berlin
               
1998-99
Theater Oklahoma, Berlin

1999-2009 
freischaffender Regisseur

2009-2014 
Schauspielintendant und künstlerischer Geschäftsführer
Wuppertaler Bühnen und Sinfonieorchester GmbH

2014-2024 
freischaffender Regisseur

©Lou von Treskow

Meine ersten Theaterschritte habe ich als Praktikant und Faktotum in der Kölner freien Szene gemacht. Am Theater der Keller und dem Severins-Burg-Theater durfte ich vom Dekorationsbau über Proben- und Vorstellungsbetreuung bis zum Thekendienst alle Theaterberufe im Schnelldurchlauf kennenlernen. Ab der Spielzeit 1989/90 hatte ich dann am Deutschen Schauspielhaus Hamburg mein erstes Engagement , zuerst als Hospitant, später als Regieassistent. Unter der Intendanz von Michael Bogdanov waren dort noch die Überreste des legendären Ensembles von Peter Zadek zu besichtigen. Und auch, wenn ich diesen nicht mehr selbst in der Arbeit erleben konnte, waren dort viele Begegnungen prägend für meine Sicht auf Theater. Insbesondere die Arbeit im Team von Ulrich Heising hat mich damals in meinem Berufswunsch bestärkt. Heising war es auch, der mir am Ende meiner Assitenzzeit empfahl, ein Regiestudium zu beginnen.

In meine Hamburger Zeit fiel auch die deutsche Wiedervereinigung, und damit rückten auch die Ausbildungsstätten des ehemaligen DDR-Theaters ins Blickfeld. Ich hatte in Köln zu Zeiten der Pierwoß-Intendanz viele Gastspiele und Gastregien von prominenten Theaterleuten der DDR-Endphase gesehen, die gerade dabei waren, mit ihrer Intensität und anarchischen Direktheit die ausgelaugt wirkende westdeutsche Theaterlandschaft der späten 80er aufzumischen. Frank Castorf und Dimiter Gotscheff waren dort ebenso vertreten wie Thomas Langhoff und Alexander Lang. Diese Ästhetik war zwar neu und fremdartig, übte aber eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich aus. So kam es, dass ich mich am Regieinstitut der Hochschule „Ernst Busch“ bewarb – mit dem Zulassungsbescheid kam der Umzug ins Ost-Berlin der Nachwende-Zeit – das Eintauchen in eine neue Welt und damit die Ausbildung eines neuen künstlerischen Koordinatensystems.

Das Regiestudium dieser Jahre war stark verschult, und umfasste einen eng gestrickten Lehrplan, der mit einem Grundlagenseminar im Schauspiel begann, und ausserdem kulturwissenschaftliche, aber auch handwerkliche Fähigkeiten wie Sprechen, Bewegung, Fechten, Beleuchtung, Bühnenbild und Kostümentwurf umfasste. Ausserdem ergab sich die Möglichkeit, zusammen mit einigen Kommilitonen im Rahmen des Studiums Regieassistenzen beim Kunstfest Weimar und ein Szenenstudium am Théâtre du Grütli in Genf zu machen. Zu verdanken hatten wir diesen Einstieg in die praktische Theaterarbeit unserem Regieprofessor und ausgewiesenen Brecht-Experten Manfred Karge. Zu meinen prägenden Einflüssen während des Studiums gehörten ausserdem Peter Kleinert (Regie), Klaus Völker (Dramaturgie), Wolfgang Engler (Kultursoziologie) und Dieter Hoffmeier (Theaterwissenschaft).
Der akademische Betrieb war damals noch sehr männlich geprägt.

In der zweiten Hälfte des Studiums kam es zur folgenreichen Begegnung mit dem russischen Schauspiel-Lehrer und Regisseur Gennadi Bogdanov, der mich in die Welt der Theater-Biomechanik einführte, einer reichlich komplexen Methode praktischer Theaterarbeit, die in der avantgardistischen Frühphase des sowjetischen Theater-Konstruktivismus entstanden war, später als Formalismus verdammt wurde und über viele abenteuerliche Wege ihren Weg ins Berliner Exil der 90er Jahre gefunden hatte. Unter Bogdanovs Anleitung konnten mein Kommilitone Thomas Ostermeier und ich am bat-Studiotheater mit Schaupielstudierenden unseres Jahrgangs ein Doppelprojekt realisieren, das in der Presse ud Fachöffentlichkeit viel Beachtung fand. Das biomechanische Schauspieltraining habe ich bis heute weiter entwickelt und in meine praktische Arbeit eingebunden – in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung.
Nach vier Jahren verließ ich das Regieinstitut mit dem Abschluss Diplom-Regisseur .

Für Thomas Ostermeier und mich kam unmittelbar nach dem Studium die erste Bewährungsprobe. Die DT-Baracke in der Schumannstraße sollte nach dem Wunsch des Intendanten Thomas Langhoff zur vollwertigen Spielstätte ausgebaut und ab der Spielzeit 1996/97 mit einem eigenen Leitungsteam besetzt werden. Ostermeier und ich wurden als 28-jährige Absolventen mit dieser anspruchsvollen Aufgabe betraut – man warf uns gewissermaßen ins kalte Wasser und sah uns bei unseren ersten Schwimmversuchen als Theaterleiter zu. Ostermeier konnte diese Chance nutzen und machte die Baracke zu einer Kult-Spielstätte. Mich überforderte die Rolle als Theater-Wunderkind, und die Künstlerfreundschaft mit meinem Partner zerbrach, bevor sie richtig begonnen hatte. Ich kündigte mein Engagement aus freien Stücken. In meiner letzten Premiere dort saß durch einen Zufall Claus Peymann, der mich in der Folge für die Spielzeit 98/99 als Regisseur ans Burgtheater engagierte.

Die erste Reaktion nach dem Ausstieg aus dem etablierten Berliner Theaterbetrieb war die Gründung einer freien Gruppe. Mit der Hilfe eines experimentierfreudigen Ensembles von Schauspieler:innen aus der Berliner freien Szene gelang es mir, im Theater im Schokoladen in der Ackerstraße zwei eigene Produktionen herauszubringen, die von namhaften Festivals in Frankreich co-finanziert wurden. Die Truppe taufte ich das Theater Oklahoma – nach der utopischen Casting-Vision im Schlusskapitel von Kafkas Roman Amerika . Zum ersten Mal konnte ich meine theaterästhetischen Vorstellungen uneingeschränkt umsetzen, mich von der Hochschulästhetik emanzipieren und zu einer eigenen Regiehandschrift finden. Das war zwar für mich und alle Beteiligten ein künstlerischer Erfolg, blieb aber in der freien Szene weitestgehend unbeachtet. In der Folge konzentrierte ich mich deshalb auf meine Karriere als freischaffender Regisseur in Stadt- und Staatstheatern.

Nach meiner ersten Inszenierung als Freischaffender am Burgtheater ergaben sich in kurzer Zeit relativ viele interessante Arbeitsmöglichkeiten, so dass die nächsten Jahre von einer intensiven Reiseaktivität geprägt waren. Auch nach Wien kam ich in den folgenden Jahren immer wieder, wo es zu einer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit dem Theater der Jugend kam. Künstlerisch interessant waren in dieser Phase außerdem die Engagements an zwei der kleinsten, aber auch innovativsten Bühnen des deutschsprachigen Theaters, dem Theaterhaus Jena und dem Theater Erlangen. Beide Häuser wurden Anfang der 2000er Jahre von risikofreudigen Künstlerinnen-Intendantinnen geleitet, denen ich für meine weitere Entwicklung sehr viel verdanke: Claudia Bauer und Sabina Dhein. Zusammen mit meinen Austatter:innen konnte ich dort insgesamt elf interessante Arbeiten herausbringen, die mir mehrere Auszeichnungen, wie den IMPULSE-Preis oder den Bayerischen Theaterpreis einbrachten.

Die Spuren, die Regiepersonen in der Theaterlandschaft hinterlassen, sind flüchtig. Ihre Kunst ist unmittelbar situativ, zeit- und ortsgebunden und lebt nur in der Erinnerung von Beteiligten und Publikum weiter. Erfolge und Flops verblassen mit der Zeit, oder werden zu Anekdoten. Meine eigenen Spuren habe ich an vielen Theatern der 2000er Jahre hinterlassen. Am nachhaltigsten waren dabei Arbeiten an Häusern, an denen es zu einem längerfristigen Zusammengehen mit Ensembles und Leitungsteams kam, und darüber hinaus zu einer engeren Bindung an Menschen und Orte. Vor allem die Bühnen in Köln, Bremen, Freiburg und Wuppertal waren für mich künstlerische Heimat auf Zeit. Oft wurden mir Uraufführungen angeboten, oder Texte, die ungewöhnliche szenische Erfindungen erforderten. Meine Überzeugung war, dass jede Arbeit an einem neuen Text einen individuellen ästhetischen Zugriff erforderlich macht. Auf einen besonderen Stil habe ich mich deshalb bis heute nicht festlegen lassen.

Es gelang mir, durch meine Arbeiten an mittleren und größeren Stadttheatern sowie Gastspiele auf Festivals wie dem Mülheimer Stücke genug Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, um schließlich das Angebot zu erhalten, ab der Spielzeit 2009/10 als Schauspielintendant und künstlerischer Geschäftsführer ins Leitungsteam der Wuppertaler Bühnen einzutreten. Im Wuppertaler Schauspielhaus hatte ich zuvor schon einige Arbeiten zeigen können. Die erste Phase meiner Intendanz wurde durch den Kampf gegen eine Schließung dieses Gebäudes und geplante Budgetkürzungen in Folge des durch die Bankenkrise verursachten Absturzes der kommunalen Finanzen überschattet. Die ständigen Herausforderungen von außen und der kulturpolitische Kampf schweißten das Ensemble zusammen und machten diese Phase zu einer künstlerisch fruchtbaren und intensiven Theaterzeit. Wir konnten uns gerade durch die öffentliche Infragestellung frei von politischen Rücksichtnahmen in die Arbeit stürzen.

Die zweite Hälfte meiner Intendanz in Wuppertal war eine Zeit der Konsolidierung. Die krisenbedingte Talfahrt der Zuschauerzahlen konnte gestoppt und die infolge der geplanten Budgetkürzungen drohende Insolvenz der GmbH vorerst abgewendet werden. Außerdem konnten durch Spenden privater Mäzene die Planungen für eine neue Spielstätte als Ersatz für das geschlossene Schauspielhaus in Angriff genommen werden. Die ursprünglich geplante Schließung der Schauspielsparte erschien dadurch obsolet und wurde per Ratsbeschluss im Frühjahr 2012 zurückgenommen. Für die Wuppertaler Kultur hatten sich der Protest und die aufreibende politische Hintergrundarbeit ausgezahlt. Nicht so für das verantwortliche Leitungsteam. Meinem stets loyalen Opernkollegen Johannes Weigand und mir wurde zum Ende unseres Vertragszeitraumes seitens der Stadt die Nichtverlängerung erklärt. Durch unser Engagement hatten wir unseren Engagements das Grab geschaufelt. Die Reise sollte also weitergehen.

Für viele Ex-Intendant:innen ist die Rückkehr in das freischaffende Berufsleben eine ambivalente Erfahrung. Auf der einen Seite ist es gar nicht so einfach, den Terminkalender wieder mit Aufträgen zu füllen – ehemalige Intendent:innen sind als freie Mitarbeitende nicht besonders beliebt, warum auch immer. Und dann wird der abrupte Verlust von Macht und Privilegien von den Kolleg:innen sehr unterschiedlich verarbeitet. Für manche wird das Fehlen einer festen Arbeitsstruktur zum horror vacui. Wiederum andere sind von der plötzlichen Freiheit überfordert und benötigen eine längere Übergangsphase, um sich ohne den Apparat zu organisieren. Für mich traf alles ein bisschen zu. Dass ich mit einem Schlag alle Verantwortung für Hunderte von Mitarbeitenden eines dauernd insolvenzbedrohten Theaters los war, empfand ich als Befreiung von einer ungeheuren Bürde. Und nach einer kurzen Phase der Arbeitslosigkeit kamen zum Glück wieder viele interessante Aufträge auf mich zu.

Mir war klar, dass ich irgendwann wieder Verantwortung für ein Theaterhaus übernehemen wollte. Aber einstweilen schoben sich familiäre Verpflichtungen in den Vordergrund. Ich wollte meinen Töchtern eine von Ortswechseln unbehelligte Schulzeit ermöglichen, und so stürzte ich mich mit Leidenschaft in die durch die freischaffende Tätigkeit erzwungene Hypermobilität. Die Aufträge meiner nach-Intendanten-Phase waren allerdings von anderer Art. Mir wurden häufig klassische Stoffe angeboten, Spielzeiteröffnungen oder andere wichtige Spielplanpositionen, in der Erwartung, diese Blockbuster in unkonventionellen, aber dennoch publikumskompatiblen Lesarten möglichst reibungslos auf die Bühne zu bringen. Diese Herausforderungen habe ich in den folgenden Jahren gern angenommen, denn mein Ziel war, möglichst große Zuschauer:innen-Gruppen anzusprechen und mitzunehmen. Mit wenigen Ausnahmen standen Experimente und Uraufführungen nun nicht mehr auf der Prioritätenliste.

Eine Ausnahme bildete in dieser Hinsicht das Theater Aachen, das in diesen Jahren für mich zu einer neuen künstlerischen Heimat wurde. Hier konnte ich verlässlich regelmäßig arbeiten und dabei neue Formen erproben. Ohne fest angestellt zu sein, hatte ich zeitweilig den Status eines Hausregisseurs, und man gab mir auch ein wenig mehr Verantwortung für das Ensemble als gewöhnlich. Von den insgesamt 27 Inszenierungen, die ich nach meinem Weggang aus Wuppertal realisieren konnte, durfte ich neun am Theater Aachen realisieren – was in meiner freischaffenden Tätigkeit ein Rekord ist. Viele Mitarbeitende und Ensemblemitglieder des Hauses sind zu liebgewonnenen Kolleg:innen geworden, und ich habe mir mit meinem Ausstattungsteam beim Publikum einen Namen machen und viel Vertrauen erwerben können. Mit dem Intendanzwechsel in Aachen ist diese Phase nun auch zu Ende.
Die Reise geht weiter.

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